DER MANICHÄISMUS

Aus:

Rudolf Steiner

„Die Tempellegende und die Goldene Legende“ GA 93

Berlin, 11. November 1904



Wir haben ja wunschgemäß etwas über Freimaurerei zu sprechen. Diese kann man aber nicht verstehen, bevor nicht die ursprünglichen Geistesströmungen betrachtet werden, die mit der Freimaurerei in der Weise in Zusammenhang stehen, dass die Freimaurerei sozusagen aus ihnen hervorgegangen ist. Eine noch wichtigere Geistesströmung als die der Rosenkreuzer war die des Manichäismus. Wir müssen also eigentlich zuerst über diese viel wichtigere Bewegung sprechen und können dann später einmal auch auf die Freimaurerei ein Licht werfen.


Was ich dazu zu sagen habe, hängt zusammen mit verschiedenen Dingen, die in das gegenwärtige und zukünftige Geistesleben hineinspielen. Und um Ihnen zu zeigen, dass man, wenn man in diesen Gebieten tätig ist,immerfort auf etwas Bezug nehmen muss, wenn auch versteckt, so möchte ich nur einleitend darauf hinweisen, dass ich bei wiederholterGelegenheit das Faust-Problem als ein besonders wichtiges für das neue Geistesleben bezeichnet habe. Und darum ist auch im ersten Heft des „Luzifer“ die moderne Geistesbewegung mit dem Faust-Problem in Zusammenhang gebracht. So wie ich es in meinem „Luzifer“-Aufsatz gebracht habe, ist nicht ohne eine gewisse Begründung auf das FaustProblem angespielt.


Um die Dinge, um die es sich dabei handelt, in Zusammenhang zu bringen, müssen wir also zunächst ausgehen von einer Geistesrichtung, die uns geschichtlich zuerst entgegentritt etwa im 3. Jahrhundert. Es ist dies jene Geistesrichtung, die ihren großen Bekämpfer im heiligen Augustinus gefunden hat, trotzdem er, bevor er zur katholischen Kirche übergetreten ist, Anhänger dieser Richtung war. Wir müssen sprechen über den Manichäismus, der durch eine Persönlichkeit begründet wurde, die sich selbst als Mani bezeichnete und etwa im 3. Jahrhundert nachChristi Geburt lebte. Ausgegangen ist die Bewegung von einer Gegend, die damals beherrscht wurde von den Königen Vorderasiens; sie ist also von den Gegenden des westlichen Kleinasien ausgegangen. Dieser Mani begründete eine Geistesströmung, die ja zuerst eine kleine Sekte umfasste, die aber zu einer mächtigen Geistesströmung wurde. Die mittelalterlichen Albigenser, Waldenser und Katharer sind die Fortsetzung dieser Geistesströmung, zu der auch der ja noch für sich zu besprechende Templerorden und ebenso – durch eine merkwürdige Verkettung der Verhältnisse – das Freimaurertum gehören. Hier hinein gehört das Freimaurertum eigentlich, obgleich es sich mit anderen Strömungen, zum Beispiel dem Rosenkreuzertum verbunden hat.


Die äußere Geschichte, die und von Mani erzählt wird, ist höchst einfach. *


Es wird gesagt, dass in den Gegenden Vorderasiens ein Kaufmann lebte, der außerordentlich gelehrt war. Er verfasste vier bedeutsame Schriften: erstens die Mysteria, zweitens die Capitola, drittens das Evangelium, viertens den Thesaurus. Ferner wird erzählt, dass er bei seinem Tod diese Schriften hinterlassen habe seiner Witwe, die eine Perserin war. Diese Witwe wiederum hinterließ sie einem Sklaven, den sie losgekauft und freigelassen habe. Der sei der besagte Mani gewesen, der dann aus diesen Schriften seine Weisheit gezogen habe, aber außerdem in die Mysterien des Mithrasdienstes eingeweiht gewesen war. Er hat dann diese Bewegung des Manichäismus ins Leben gerufen. Man nennt den Mani auchden „Sohn der Witwe“ und seine Anhänger die „Söhne der Witwe“. Er selbst aber, Mani, bezeichnete sich als „Paraklet“, als den von Christus der Menschheit versprochenen Heiligen Geist. Nun ist das so aufzufassen, dass er sich bezeichnete als eine Inkarnation jenes Heiligen Geistes; nicht etwa meinte er, dass er der alleinige Heilige Geist sei. Er stellte sich vor, dass dieser Heilige Geist in Wiederverkörperungen erscheint und bezeichnete sich als eine solche Wiederverkörperung des Geistes.


Die Lehre, die er verkündigte, wurde von Augustinus, als dieser zur katholischen Kirche übergetreten war, in der lebhaftesten Weise bekämpft. Augustinus stellte seine katholische Anschauung der manichäischen Lehre gegenüber, die er durch eine Persönlichkeit vertreten lässt, die er Faustus nennt. Faustus ist im Sinne des Augustines der Kämpfer gegen das Christentum. Hier liegt der Ursprung des goetheschen Faust mit seiner Anschauung des Bösen. Der Name „Faust“geht zurück bis auf diese alte augustinische Lehre.


Man erfährt von der manichäischen Lehre gewöhnlich, dass sie sich vom abendländischen Christentum unterscheide durch ihre andere Auffassung des Bösen. Während das katholische Christentum der Ansicht sei, dass das Böse beruhe auf einem Abfall vom göttlichen Ursprung, auf einem Abfall ursprünglich guter Geister von Gott, so lehre der Manichäismus, dass das Böse ebenso ewig sei wie das Gute; dass es keine Auferstehung des Leibes gebe und dass das Böse als solches kein Ende nähme. Es habe also keinen Anfang, sondern sei gleichen Ursprungs mit dem guten, und habe auch kein Ende.


Wenn Sie in dieser Weise den Manichäismus kennenlernen, so erscheint er allerdings wie etwas radikal Unchristliches und wie etwas ganz Unverständliches.


Nun wollen wir der Sache auf den Grund gehen nach den Traditionen, die von dem Mani selbst herrühren sollen und prüfen, um was es sich da eigentlich handelt. Einen äußeren Anhaltspunkt zu dieser Prüfung gibt uns die Legende des Manichäismus, eine ebensolche Legende, wie ich Ihnen neulich als Tempellegende erzählt habe. Alle solche Geistesströmungen, die mit Einweihungen zusammenhängen, drücken sich exoterisch aus in Legenden. Nur ist die Legende des Manichäismus einegroße kosmische Legende, eine Legende von übersinnlicher Art.


Da wird erzählt, dass einstmals die Geister der Finsternis anstürmen wollten gegen das Lichtreich. Sie kamen in der Tat bis an die Grenze des Lichtreiches und wollten das Lichtreich erobern. Sie vermochten aber nichts gegen das Lichtreich. Nun sollten sie – und hier liegt ein besonders tiefer Zug, den ich zu beachten bitte -, nun sollten sie bestraft werden von dem Lichtreich. Aber in dem Lichtreich gab es nichts irgendwie Böses, sondern nur Gutes. Also hätten die Dämonen der Finsternis nur mit etwas Gutem bestraft werden können. Was geschah also? Es geschah folgendes. Die Geister des Lichtreiches nahmen einenTeil ihres eigenen Reiches und mischten diesen in das materielle Reichder Finsternis hinein. Dadurch, dass nun ein Teil des Lichtreiches vermischt wurde mit dem Reich der Finsternis, dadurch sei in diesem Reich der Finsternis gleichsam ein Sauerteig, ein Gärungsstoff entstanden, der das Reich der Finsternis in einen chaotischen Wirbeltanz versetzte, wodurch es ein neues Element bekommen hat,nämlich den Tod. So dass es sich fortwährend selbst aufzehrt und so den Keim zu seiner eigenen Vernichtung in sich trägt. Weiter wird erzählt, dass dadurch, dass dies geschehen ist, gerade das Menschengeschlecht entstanden sei. Der Urmensch sei eben gerade das, was vom Lichtreichher gesendet worden sei, um sich mit dem Reich der Finsternis zu vermischen und das, was im Reich der Finsternis nicht sein soll, zu überwinden durch den Tod; es in sich selber zu überwinden.


Der tiefe Gedanke, der darin liegt, ist der, dass von seiten des Lichtreiches das Reich der Finsternis überwunden werden soll nicht durch Strafe, sondern durch Milde; nicht durch Widerstreben dem Bösen, sondern durch Vermischung mit dem Bösen, um das Böse als solches zu erlösen. Dadurch, dass ein Teil des Lichtes hineingeht in das Böse, wird das Böse selbst überwunden.

Dem liegt die Auffassung vom Bösen zugrunde, die ich oftmals als die theosophische auseinandergesetzt habe. Was ist das Böse? Es ist nichts anderes als ein unzeitgemäßes Gutes: um ein Beispiel anzuführen, das von mir schon öfters angeführt wurde: Nehmen wir an, dass wir es mit einem ausgezeichneten Klavierspieler und einem ausgezeichneten Klaviertechniker zu tun haben, die beide vollkommen sind in ihrer Art. Zuerst muss der Techniker das Instrument bauen und es dann abgeben an den Spieler. Wenn dieser ein guter Spieler ist, wird er es in entsprechender Weise benützen und so sind beide gleichsam das Gute.Wenn aber nun der Techniker anstelle des Spielers in den Konzertsaal gehen und da herumhämmern wollte, dann wäre er am unrechten Ort. Das‚Gute würde so zum Bösen. So sehen wir, dass das Böse nichts anderes ist als das Gute am unrechten Ort.


Wenn das, was in irgend einer Zeit außerordentlich gut ist, sich weitererhalten, starr werden wollte und nun das schon Fortgeschrittene beeinträchtigen würde in seinem Gange, so wird es jetzt zweifellos ein Böses, weil es dem Guten widerstreben würde. Nehmen wir an, die leitenden Kräfte der Mondenepoche, der lunarischen Epoche, wenn sie dort vollkommen waren in ihrer Art und ihre Tätigkeit hätten abschließen müssen, würden sich noch länger in die Entwickelung mischen. Dann müssten sie in der irdischen Entwickelung das Böse darstellen. So ist das Böse nichts anderes als das Göttliche, denn in der anderen Zeit war das, was zur Unzeit das Böse ist, der Ausdruck des Vollkommenen, des Göttliche.


In diesem tiefen Sinne haben wir die manichäische Anschauung aufzufassen,dass das Gute und Böse im Grunde genommen von derselben Art, im Grundegenommen gleich in ihrem Anfang und gleich in ihrem Ende sind. Wenn Sie diese Anschauung so auffassen, werden Sie verstehen, was eigentlich der Mani anregen wollte. Auf der anderen Seite müssen wir aber zunächst erklären, warum sich Mani selbst den „Sohn der Witwe“ nannte und warumsich seine Anhänger „Söhne der Witwe“ nannten.


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Wenn wir zurück gehen in die ältesten Zeiten, die vor unserer jetzigen Wurzelrasse liegen, da war die Art und Weise, wie Menschen erkannten,Wissen erwarben, eine andere. Sie werden aus meiner Schilderung der atlantischen Zeit, und jetzt, wo das nächste „Luzifer“-Heft erscheint, auch aus der Schilderung der lemurischen Zeit ersehen, dass damals alles Wissen – zum Teil bis in unsere Zeit hinein – beeinflusst ist von demjenigen, was über der Menschheit steht. Ich habe öfters schon erwähnt, dass erst der Manu, der erscheinen wird in der nächsten Wurzelrasse, ein wirklicher Menschenbruder sein wird, während die früheren Manus übermenschlich, eine Art göttliche Wesen waren. Erst jetzt reift die Menschheit heran, um einen eigenen Menschenbruder als Manu zu haben, der von der Mitte der lemurischen Zeit an alle Stadien mit durchgemacht hat. Was geschieht also eigentlich während derEntwickelung der fünften Wurzelrasse? Es geschieht das, dass diese Offenbarung, die Offenbarung von oben, die Leitung der Seele von oben sich allmählich zurückzieht und die Menschheit den eigenen Wegen überlässt, so dass sie ihr eigener Leiter wird.


Die Seele wurde nun in aller Esoterik (Mystik) die „Mutter“ genannt; der Unterweiser der „Vater“. Vater und Mutter, Osiris und Isis, das sind die zwei in der Seele vorhandenen Mächte: der Unterweiser, derjenige,der das unmittelbar einfließende Göttliche darstellt, Osiris, ist der Vater; die Seele selbst, Isis, konzipiert, empfängt das Göttlich-Geistige, sie ist die Mutter. Während der fünften Wurzelrasse zieht sich nun der Vater zurück. Die Seele ist verwitwet, soll verwitwet sein. Die Menschheit ist auf sich selbst angewiesen. Sie muss in der eigenen Seele das Licht der Wahrheit suchen, um sich selbst zu lenken. Alles Seelische wurde von jeher mit weiblichen Sinnbildern zum Ausdruck gebracht. Deshalb wird dieses Seelische – welches heute im Keim vorhanden ist und später vollständig entwickelt sein wird -,dieses sich selbst lenkende Seelische, das den göttlichen Befruchter nicht mehr vor sich hat, das wird von dem Mani als „Witwe“ bezeichnet.Und deshalb bezeichnete er sich selbst als den „Sohn der Witwe“.


Mani ist es, der diejenige Stufe der menschlichen Seelenentwickelung vorbereitet, die das eigene seelische Geisteslicht such. Alles, was von ihm herrührt, war ein Berufen auf das eigene Geisteslicht der Seele und das war zugleich ein entschiedenes Aufbäumen gegen alles, was nicht aus der Seele, aus der eigenen Beobachtung der Seele kommen wollte. Schöne Worte rühren von dem Mani her und sind das Leitmotiv seiner Anhänger zu allen Zeiten gewesen. Wir hören: Ihr müsst abstreifen alles dasjenige,was äußere Offenbarung ist, die ihr auf sinnlichem Wege erhaltet! Ihr müsst abstreifen alles, was äußere Autorität euch überliefert; dann müsst ihr reif werden, die eigene Seele anzuschauen!


Augustinus dagegen vertritt das Prinzip – in einem Gespräch, in dem er sich zum Gegner jenes Manichäers Faustus macht -: Ich würde die Lehre Christi nicht annehmen, wenn sie nicht auf die Autorität der Kirche begründet wäre. – Der Manichäer Faustus sagt aber: Ihr sollt auf Autorität hin keine Lehre annehmen; wir wollen eine Lehre nur annehmen in Freiheit. – Das ist das Aufbäumen des auf sich selbst bauenden Geisteslichtes, das dann auch in der Faust-Sage in so schöner Weise zum Ausdruck gebracht wurde.


Wir haben diesen Gegensatz auch in späteren Sagen im Mittelalter einander gegenübergestellt. Auf der einen Seite die Faust-, auf der anderen Seite die Luther-Sage. Luther ist der Fortsetzer des autoritativen Prinzips, Faust dagegen ist der, der sich aufbäumt, der sich auf das innere Geisteslicht stützt. Wir haben die Luther-Sage: er wirft dem Teufel das Tintenfass an den Kopf. Was sich ihm als Böses vorstellt, wird beiseite gestellt. Und auf der anderen Seite haben wir das Bündnis des Faust mit dem Bösen. Es wird von dem Lichtreich der Funke nach dem Reich der Finsternis gesandt, um eindringend in die Finsternis, die Finsternis durch sich selbst zu erlösen, durch Milde das Böse zu überwinden. Wenn Sie es in der Weise fassen, so werden Sie auch sehen, dass dieser Manichäismus sehr wohl zurechtkommt mit der Auffassung, die wir ausgesprochen haben, von dem Bösen.


Wie müssen wir uns das Zusammenwirken des Guten und des Bösen vorstellen? Wir müssen es uns aus dem Zusammenklingen von Leben und Form erklären. Wodurch wird das Leben zur Form? Dadurch, dass es einen Widerstand findet; dass es sich nicht auf einmal – in einer Gestalt – zum Ausdruck bringt. Beachten Sie einmal, wie das Leben in einer Pflanze,sagen wir der Lilie, von Form zu Form eilt. Das Leben der Lilie hat eine Lilienform aufgebaut, ausgestaltet.


Wenn diese Form ausgestaltet ist, überwindet das Leben die Form, geht in den Keim über, um später als dasselbe Leben in einer neuen Form wiedergeboren zu werden. Und so schreitet das Leben von Form zu Form.Das Leben selbst ist gestaltlos und würde sich nicht in sich selbst wahrnehmbar ausleben können. Das Leben der Lilie zum Beispiel ist in der ersten Lilie, schreitet weiter zur zweiten, dritten, vierten, fünften. Überall ist dasselbe Leben, das in einer begrenzten Form erscheint, webend ausgebreitet. Dass es in begrenzter Form erscheint,das ist eine Hemmung dieses allgemein flutenden Lebens. Es würde keine Form geben, wenn das Leben nicht gehemmt, wenn es nicht aufgehalten würde in seiner nach allen Seiten hin strömenden Kraft. Gerade von dem, was zurück geblieben ist, was ihm auf höherer Stufe stehend wie eine Fessel erscheint, gerade aus dem erwächst im großen Kosmos die Form.


Immer wird das, was das Leben ist, umfasst als Form von dem, was als Leben in einer früheren Zeit vorhanden war. Beispiel: die katholische Kirche. Das Leben, das in der katholischen Kirche lebt von Augustinus bis ins 15. Jahrhundert, ist christliches Leben. Das Leben darinnen ist Christentum. Immer wieder kommt dieses pulsierende Leben heraus (Mystiker). Die Form, woher ist die Form? Die ist nichts anderes als das Leben des alten römischen Reiches. Das, was in diesem altenrömischen Reich noch Leben war, ist erstarrt zur Form. Was da zuerst Republik, dann Kaiserreich war, was da gelebt hat in seinen äußeren Erscheinungen als römischer Staat, das hat sein zur Form erstarrtes Leben abgegeben an das spätere Christentum bis hin zur Hauptstadt, sowie eben früher Rom die Hauptstadt des römischen Weltreiches war. Sogar die römischen Provinzialbeamten sind durch die Presbyter und Bischöfe fortgesetzt worden. Was früher Leben war, wird später Form für eine höhere Stufe des Lebens.


Ist es nicht mit dem Menschen geradeso? Was ist das Menschen-leben? Die manasische Befruchtung ist heute des Menschen inneres Leben, das in der Mitte der lemurischen Zeit gepflanzt wurde. Die Form ist das, was samenartig herübergekommen ist aus der lunari­schen Epoche. Damals, in der Mondenzeit, war kamische Entwicke-lung das Leben des Menschen; jetzt ist sie die Hülle, die Form. Immer ist das Leben einer vorhergehenden Epoche die Form einer späteren Epoche. In dem Zusammenklingen von Form und Leben ist zugleich das andere Problem gegeben: das des Guten und Bösen; dadurch, daß das Gute einer früheren Zeit vereint ist mit dem Guten einer neuen Zeit. Und das ist im Grunde genommen nichts anderes als eben das Zusammenklingen des Fortschreitens mit seiner eigenen Hemmung. Das ist zugleich die Möglichkeit des materiellen Erscheinens, die Möglichkeit, zum offenbaren Dasein zu kommen. Das ist unser Men­schendasein innerhalb der mineralisch-festen Erde: Innenleben und das zurückgebliebene Leben der früheren Zeit zur hemmenden Form verhärtet. Das ist auch die Lehre des Manichäismus über das Böse.


Wenn wir uns von diesem Gesichtspunkt aus weiter fragen: Was will nun der Mani und was bedeutet sein Ausspruch, der Paraklet, der Geist zu sein, der Sohn der Witwe? Nichts anderes bedeutet das, als daß er vorbereiten will diejenige Zeit, in welcher in der sechsten Wurzelrasse die Menschheit durch sich selbst, durch das eigene Seelen-licht geführt werden wird und überwinden wird die äußeren Formen, sie umwandeln wird zu Geist.

Eine über das Rosenkreuzertum hinübergreifende Strömung des Geistes will Mani schaffen, eine Strömung, die weitergeht als die Strömung der Rosenkreuzer. Diese Strömung des Mani strebt hin­über bis zur sechsten Wurzelrasse, die seit der Begründung des Chri­stentums vorbereitet wird. Gerade in der sechsten Wurzeltasse wird das Christentum erst in seiner vollen Gestalt zum Ausdruck kommen. Dann erst wird es wirklich da sein. Das innere christliche Leben als solches überwindet jegliche Form, es pflanzt sich durch das äußere Christentum fort und lebt in allen Formen der verschiedenen Be­kenntnisse. Wer christliches Leben sucht, wird es immer finden. Es schafft Formen und zerbricht Formen in den verschiedenen Religions­systemen. Nicht darauf kommt es an, die Gleichheit überall zu suchen in den äußeren Ausdrucksformen, sondern den inneren Lebensstrom zu empfinden, der überall unter der Oberfläche da ist. Was aber noch geschaffen werden muß, das ist eine Form für das Leben der sechsten Wurzelrasse. Die muß früher geschaffen werden, denn sie muß da sein, damit sich das christliche Leben hineingießen kann. Diese Form muß vorbereitet werden durch Menschen, die eine solche Organisation, eine solche Form schaffen werden, damit das wahre christliche Leben der sechsten Wurzelrasse darin Platz greifen kann. Und diese äußere Gesellschaftsform muß entspringen aus der Mani-Intention, aus dem Häuflein, das der Mani vorbereitet. Das muß die äußere Organisa­tionsform sein, die Gemeinde, in der zuerst der christliche Funke wird so recht Platz greifen können.


Daraus werden Sie entnehmen können, daß dieser Manichäismus zunächst bestrebt sein wird, vor allen Dingen das äußere Leben rein zu gestalten; denn es soll Menschen herbeiführen, die ein geeignetes Gefäß in der Zukunft abgeben werden. Daher wurde auf unbedingte reine Gesinnung und auf Reinheit ein so großes Gewicht gelegt. Die Katharer waren eine Sekte, die wie meteorartig auftrat im 12. Jahr-hundert. Sie nannten sich so, weil Katharer die «Reinen» heißt. Es waren Menschen, die hinsichtlich ihrer Lebensweise und ihres morali­schen Verhaltens rein sein sollten. Sie mußten die Katharsis innerlich und äußerlich suchen, um eine reine Gemeinde zu bilden, die ein rei­nes Gefäß sein soll. Das ist es, was der Manichäismus anstrebt. Weniger handelt es sich um die Pflege des innerlichen Lebens - das Leben wird auch in anderer Weise fortfließen -, sondern mehr um die Pflege der äußeren Lebensform.


Nun werfen wir einen Blick auf das, was sein wird in der sechsten Wurzelrasse. Da werden das Gute und das Böse einen weitaus anderen Gegensatz noch bilden als heute. Was in der fünften Runde für die ganze Menschheit eintreten wird, daß die äußere Physiognomie, die sich jeder schafft, ein unmittelbarer Ausdruck dessen sein wird, was Karma bis dahin aus dem Menschen geschaffen hat, das wird, wie ein Vorklang zu diesem Zustand, in der sechsten Wurzelrasse innerhalb des Geistigen eintreten. Bei denjenigen, bei denen das Karma einen Überschuß an Bösem ergibt, wird innerhalb des Geistigen das Böse ganz besonders hervortreten. Auf der einen Seite werden dann Men­schen da sein von einer gewaltigen inneren Güte, von Genialität an Liebe und Güte; aber auf der anderen Seite wird auch das Gegenteil da sein. Das Böse wird als Gesinnung ohne Deckmantel bei einer gro­ßen Anzahl von Menschen vorhanden sein, nicht mehr bemäntelt, nicht mehr verborgen. Die Bösen werden sich des Bösen rühmen als etwas besonders Wertvollem. Es dämmert schon bei manchen genialen Menschen etwas auf von einer gewissen Wollust an diesem Bösen, die­sem Dämonischen der sechsten Wurzelrasse. Nietzsches «blonde Be­stie » ist zum Beispiel so ein Vorspuk davon.

 

Dieses rein Böse muß herausgeworfen werden aus dem Strom der Weltentwickelung wie eine Schlacke. Es wird herausgestoßen werden in die achte Sphäre. Wir stehen heute unmittelbar vor einer Zeit, wo eine bewußte Auseinandersetzung mit dem Bösen durch die Guten stattfinden wird.

 

Die sechste Wurzelrasse wird die Aufgabe haben, das Böse durch Milde so weit als möglich wieder einzubeziehen in den fortlaufenden Strom der Entwickelung. Es wird dann eine Geistesströmung ent­standen sein, welche dem Bösen nicht widerstrebt, trotzdem es in sei­ner dämonischsten Gestalt in der Welt auftreten wird. Verfestigt wird sich haben in denen, die die Nachfolger der Söhne der Witwe sein werden, das Bewußtsein, daß das Böse wieder einbezogen werden muß in die Entwickelung, daß es aber nicht durch Kampf, sondern nur durch Milde zu überwinden ist. Dieses kräftig vorzubereiten, das ist die Aufgabe der manichäischen Geistesströmung. Sie wird nicht ab-sterben, diese Geistesströmung, sie wird in mannigfaltigen Formen auftreten. Sie tritt in Gestalten auf, die sich manche denken können, die aber heute nicht ausgesprochen zu werden brauchen. Würde sie sich lediglich auf die Pflege der inneren Gesinnung beziehen, so würde diese Strömung nicht das erreichen, was sie soll. Sie muß sich aus­drücken in der Begründung von Gemeinden, die vor allen Dingen den Frieden, die Liebe, das Nichtwiderstreben dem Bösen [durch Kampf] als das Maßgebende ansehen und zu verbreiten suchen. Denn sie müssen ein Gefäß, eine Form schaffen für das Leben, das sich auch ohne sie fortpflanzt.

 

Nun werden Sie begreifen, warum Augustinus, der bedeutendste Geist der katholischen Kirche, der in seinem «Gottesstaat» geradezu die Form der Kirche ausbildete, die Form für die Gegenwart geschaf­fen hat, warum er notwendigerweise der heftigste Gegner der Form sein mußte, die die Zukunft vorbereitet. Da stehen sich zwei Pole gegenüber: Faustus und Augustinus Augustinus, der auf die Kirche baut, auf die gegenwärtige Form; Faustus, der aus dem Menschen heraus den Sinn für die Form der Zukunft vorbereiten will.

 

Das ist der Gegensatz, der sich entwickelt im 3. und 4. Jahrhun­dert nach Christus. Er bleibt vorhanden und findet seinen Ausdruck in dem Kampf der katholischen Kirche gegen die Tempelritter, Rosen-kreuzer, Albigenser, Katharer und so weiter. Sie alle werden aus­gerottet vom äußeren phyischen Plan, aber ihr Innenleben wirkt wei­ter. Später kommt der Gegensatz in abgeschwächter, aber immer noch heftiger Form wieder zum Ausdruck in zwei Strömungen, herausge­boren aus einer abendländischen Kultur selbst, als Jesuitismus (Augu­stinismus) und Freimaurerei (Manichäismus). Die auf der einen Seite den Kampf führen, sind sich dessen alle bewußt, die Katholiken und Jesuiten der höheren Grade; die aber auf der anderen Seite, die im Geiste des Mani den Kampf führen, bei denen sind sich die wenigsten dessen bewußt, nur die Spitze der Bewegung ist sich dessen bewußt.

 

So stehen sich in den späteren Jahrhunderten gegenüber Jesuitis­mus (Augustinismus) und Freimaurerei (Manichäismus). Das sind die Kinder der alten Geistesströmungen. Daher haben Sie sowohi im Jesuitismus wie im Freimaurertum eine Fortsetzung derselben Zere­monien bei den Einweihungen wie in den alten Strömungen. Die Einweihung der Kirche im Jesuitismus hat die vier Grade: coadju­tores temporales, scholares, coadjutores spirituales, professi. Die Grade der Einweihung in der eigentlichen okkulten Freimaurerei sind ähn­lich. Sie laufen einander parallel, verfolgen aber ganz verschiedene Richtungen.*
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*Siehe unter Hinweise

bzw HIER

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Desweiteren ist im Internet ein Aufsatz von Albert Steffen zu Mani zufinden, der im Anschluss an diese "Vortragsstücke" abgedruckt wurde.Klicken Sie bitte >HIER<